Grabschaufeln

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In meiner Gegend lebte bis vor ein paar Jahren ein alter Totengräber, der in ungewöhnlich naher Beziehung zu denen stand, die er unter die Erde brachte. Wenn er in einem Grab auf den Schädel einer ihm bekannten Person traf – und er kannte eigentlich jeden hier – begann er oft ein vertrauliches Gespräch. „Da schau her, d‘ Tante Zenzl! Dass i di a amal wieda seh!…“

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Für den alten Totengräber war die Unterscheidung zwischen Lebenden und Toten höchstens eine graduelle. Ob das bei ihm immer schon so war oder sich berufsbedingt mit der Zeit einstellte, kann ich nicht sagen. Er sprach jedenfalls gern mit den Toten die Toten sprachen gern mit ihm. Der Totengräber war ein geselliger Mann, mit dem sich ein jeder gern unterhielt.

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Da gab es etwa die Geschichte mit den Grabschaufeln. Der Totengräber erzählte, dass seine Grabschaufeln ihm wenn jemand starb das schon immer ein paar Tage zuvor ankündigten. Die Schaufeln begannen dann im Schuppen hinter seinem Haus zu klappern. Wenn der Totengräber dieses Klappern hörte, wusste er: Er durfte sich für die nächsten Tage nicht viel vornehmen, der Totenacker forderte seinen Dienst.

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Manchmal gingen ihm die Toten auch nach, erzählte der alte Totengräber. Wenn er nach Einbruch der Dunkelheit noch auf dem Friedhof arbeitete, passierte es oft, dass die Toten ihm auf dem Heimweg ein Stück weit folgten – aber nur bis zur Friedhofsmauer. Sobald er die Friedhofstür hinter sich geschlossen habe, seien die Toten stehen geblieben – so als habe ihnen das die in der Dunkelheit verschwimmende Unterscheidung zwischen Toten und  Lebenden wieder zurück ins Gedächtnis gerufen.

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Es wäre falsch, den Totengräber als Sonderling oder Spinner zu betrachten. Früher war es in meiner Gegend vollkommen normal, sich Geschichten von Toten, die sich den Lebenden bemerkbar machten, zu erzählen. Armeseelenlichter flackerten damals an jedem Waldrand, in den Kirchen wurden regelmäßig Armeseelenandachten abgehalten. Und vergleicht man die verschiedenen Kulturen der Erde, so muss man den Glauben, dass die Toten gänzlich tot sind, doch ziemlich exotisch oder zumindest exzentrisch nennen.

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